Um der erfahrungsgemäss undifferenziert lobhudelnden Konzertrezension eines Meisterkonzertes durch ein Schaffhauser Lokalblatt (das sich auch täglich als „Schaffhauser Intelligenzblatt“ untertitelmässig feiert) zuvorzukommen, habe ich beschlossen, den Griffel  in die Hand zu nehmen und selbst eine Lobhudelei über den heutigen Auftritt von Ivo Pogorelich zu verfassen.

Künstler mit grossen Namen sind in Schaffhausen ja leider selten, aber man kann ja auch schlecht die Vorteile einer Grossstadt verlangen, wenn man in einer Kleinstadt wohnt (… schade)..

Nach András Schiffs Auftritt (Bach: Goldberg-Variationen) letzte Woche, war heute Ivo Pogorelich in Schaffhausen, mit 2 Beethovensonaten, Sibelius’ “Valse Triste” und Ravels “Gaspard la nuit” (Details s. Artikelende). Bereits mit dem ersten Stück (Beethovens bekanntes opus 111) zeigte sich das Besondere an Pogorelich’ Spiel: Der Pianist trägt die Stücke meist um einiges langsamer als seine Kollegen vor. Was ins Manieristische zu kippen droht (… ich habe aus diesem Grund sogar in den 90-er Jahren in Wien die Pogorelich-Einspielung der “Bilder einer Ausstellung” umgetauscht), wirkt bei ihm fast immer echt: Weder kommt es zu Schwankungen in den Tempi, noch zerfällt das Stück oder der “Bogen” bekäme “Ecken”. Zwar fehlt manchmal das Getriebene, Pulsierende, das bei Friedrich Guldas Beethoven-Einspielungen (… gerade beim teils sogar jazzigen Beat der 111er) hervortritt und fesselt, trotzdem ist der Vortrag bezwingend. Jeder Tonwechsel und Ton (… was von beiden ist effektiv wichtiger?) ist perfekt, ohne zu langweilen. Vergleicht man die angesprochene Wiedergabe der Goldberg-Variationen mit dem heutigen Abend (… trotz unterschiedlichen Programms), so liegen auch Welten dazwischen, auch bezüglich der Fähigkeit, die vorherrschenden (Kirchen-) Akkustik zu berücksichtigen. Pogorelich hat uns heute auch gezeigt, welche Dynamik und Phrasierung man mit einem Klavier erzielen kann, wenn man sich will.

Möglicherweise ist es nur meine subjektive Präferenz oder auch Nostalgie – aber ein Fortissimo zu spielen, das nicht grell “schreit” oder nur ordinär, jedoch trotzdem mächtig und kräftig ist, das schaffen wohl nicht viele Pianisten. Und vielmehr: auch Piano-Stellen im Diskant, die nicht grell-hölzern klingen (eine moderne „Sünde“), so rüberzubringen, wie es Pogorelich schaffen will und auch schafft, ist eine Leistung, die man anerkennen muss.
Bei der nächsten Sonate (eingeleitet durch das bekannte Albumblatt “Für Elise) ging es teils etwas zu “verhalten” zu – macht nichts. Der “Valse Triste” von Sibelius war wunderschön – ein zum Herbst passender Number Search , dunkler Bass und eine Traurigkeit, die nicht durch eine walze(r)nde Tanzschulhaftigkeit ruiniert wurde – so schön kann Traurigkeit sein!
Ravels “Gaspard de la nuit” ist eines meiner Lieblingsstücke und für Klangkünstler prädestiniert – Pogorelich’ Wiedergabe steht in einer Reihe mit jener Gawrilows (der übrigens auch schon in Schaffhausen gastiert hat) und Argerich (… welche bekanntermassen und wie im Programmheft ebenfalls erwähnt dereinst für Pogorelich “demonstriert” hatte).
Das besondere Gefühl des Pianisten für den Klang erinnert an die Werke des Komponisten Morton Feldman, dessen Kompositionen uns wieder den Sinn für einzelne Klänge und Schallwellen schult; Pogorelich gibt ebenfalls die Möglichkeit, die Klangwellen und Töne einzelner Töne zu spüren und zu erleben, ohne dabei zu sezieren.
Erstaunlich, dass es an diesem Abend im Unterschied zu jenem letzter Woche zu keinen standing ovations gekommen ist, und vielmehr, dass die Kirche noch zahlreiche Plätze mehr zu besetzen gehabt hätte…So macht Musik erleben Spass!
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